Narzissten? Soziopathen? Psychopathen?
Immer wieder begegnet man diesen drei Bezeichnungen, doch je mehr man sich mit ihnen auseinandersetzt, umso mehr muss man feststellen, wie unterschiedlich, ja oft sogar widersprüchlich die eigentlichen Begriffe definiert werden, die sich hinter diesen Bezeichnungen verbergen.
Das Problem der eindeutigen Begrifflichkeit sorgt dann für Unsicherheit.
Was steckt wirklich dahinter? Was ist ein Narzisst? Was ist ein Soziopath, was ein Psychopath? Worin unterscheiden sich diese drei „Typen“? Oder tun sie das letztlich gar nicht, sondern sind sie nur verschiedene Bezeichnungen für ein und dieselbe Form dissozialer Persönlichkeitsstörung?
Vorab. Alles was von der Norm abweicht, fällt uns Menschen meist unangenehm auf. Denn der Mensch strebt erstaunlicherweise stets das Mittelmaß an. Was finden wir schön, was empfinden wir als besonders attraktiv und erstrebenswert? Die Antwort ist verblüffend einfach! Es ist der rechnerische Durchschnitt aller individuellen Unterschiede.
Nehmen wir einmal das Beispiel Schönheit. Ein Mensch wird als besonders schön angesehen, wenn sein Äußeres in besonderem Maße typisch für die Region ist, in der diese Bewertung vorgenommen wird. Unser Schönheitsbild unterliegt nun in Zeiten der Globalisierung einer fortlaufenden Wandlung, worauf die Werbeindustrie schon längst reagiert hat, was man leicht feststellen kann, wenn man zum Spaß einmal die Werbemodels der vergangenen hundert Jahre miteinander vergleicht. Aufgrund der Globalisierung wünschen sich heutzutage viele Asiaten auf einmal weniger mandelförmige Augen, typische Nordeuropäer hingegen einen dunkleren Teint; noch vor 150 Jahren hätte man darüber den Kopf geschüttelt.
Ebenso verhält es sich mit den unterschiedlichen Facetten einer Persönlichkeit - auch in ihren Extremen. Es gibt immer Situationen, in denen wir die Selbstkontrolle verlieren, andere Menschen manipulieren möchten oder deren persönliche Bedürfnisse einfach ausblenden, und selbst masochistische und sadistische Züge liegen in jedem von uns Menschen verborgen.
Grundsätzlich sind also zunächst einmal alle Aspekte in jedem Menschen vorhanden, doch dessen Herkunft, Erziehung und Umfeld haben den entscheidenden Einfluss darauf, welche dann beim Erwachsenen letztlich hervorstechen werden. Sind es Aspekte, die in ihrer Gesamtheit eine Abweichung von einer vorgegebenen Verhaltensnorm erkennen lassen, so gibt man ihnen Namen.
Narzissmus
Der Sage nach war Narziss ein wunderschöner Jüngling und Halbgott, dem sowohl die Liebe von Frauen als auch Männern zufiel. Er wies alle ab, auch die Nymphe Echo, die sich nach ihm verzehrte und schließlich ihre Körperlichkeit dafür einbüßte. Strafe musste sein und so folgte daraufhin ein göttlicher Fluch, der Narziss zu lebenslanger ungestillter Eigenliebe ( Eigensucht ) verurteilte. Narziss verzweifelte, verhungerte und starb.
Soweit die Sage, die den Ursprung des Begriffes „Narzissmus“ bildet und seine Grenzen – scheinbar – abgesteckt hat.
Narzissmus wird unterschiedlich definiert. Üblicherweise wird diese Bezeichnung als Synonym für Selbstverliebtheit oder Selbstbewunderung verwendet. Folglich liegt bei Narzissten also eine Fokussierung auf das eigene Selbst vor, womit einhergeht, dass ein so genannter Narzisst anderen Menschen weniger Beachtung schenkt und ihnen gleichgültig gegenübersteht. Demgemäß ist der Narzisst also in erster Linie mit sich selbst beschäftigt und verschließt sich den Bedürfnissen und Befindlichkeiten Anderer.
Wenn ein Mensch mit dem Etikett „Narzisst“ belegt wird, so enthält diese Bezeichnung allerdings per se bereits eine Ablehnung, was einen objektiven Umgang mit einer solchen Persönlichkeit erschwert. Die Ausrichtung des Narzissten auf sich selbst wird grundsätzlich einer Form der Liebe nahe gestellt, was aber ehrlich betrachtet recht anmaßend ist, da der Außenstehende nur das Außenbild des Narzissten wahrnehmen kann, über dessen Inneres aber nichts weiß.
Der Narzisst selbst scheint auf den ersten Blick keine Selbstzweifel zu kennen und ist auf sein eigenes Wollen hin fokussiert – jedoch ist es schwer zu sagen, ja sogar zu bezweifeln, ob es wirklich Liebe ist, die er sich selbst entgegen bringt.
Narzissten seien zu emotionaler Empathie kaum fähig, gelten jedoch als emotional stabil und können sich angeblich gegen äußere Kritik immunisieren und sich ihrer Lebenssituation gut anpassen. Bewunderung von Außen ist für sie – entgegen allgemeiner Ansicht – anscheinend nicht notwendig.
Denn der Narzisst bewundere in erster Linie sich selbst und überschätze sich dabei maßlos. Überzeugt von seiner Einzigartigkeit verachte er andere Menschen, beute sie hemmungslos aus und setze sie herab, was ein Auskommen mit dem Narzissten natürlich erschwere.
Einfühlungsvermögen sei dem Narzissten nicht fremd, aber er in der Regel zeige er keine Bereitschaft zu Mitgefühl.
Da aber, laut Erich Fromm, die Liebe zu anderen Menschen in der Liebe zu sich selbst begründet sein muss, kann der Narzisst prinzipiell nicht zur Selbstliebe fähig zu sein, was letztlich diese gesamte Begriffsdefinition auf den Kopf stellt.
Der Begriff der Selbstsucht – möglicherweise verbunden mit Selbsthass - ist also im Falle des Narzissten wohl zutreffender und findet sich im Prinzip ja auch in der Sage wieder. Der Begriff der „Liebe“ kann im Zusammenhang mit dieser Sage auch auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen sein, denn „amor“ und „cupido“ sind zwei unterschiedliche Schuhe.
Wahrscheinlich ist im Falle des Narzissmus jedoch, dass der Narzisst sich selbst genüge ist, und sich für die Menschen seiner Umgebung nur insoweit interessiert, wie sie seinem Egoismus dienen.
Dass im Falle eines solchen Narzissmus eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, ist wohl offensichtlich, auch wenn in einer immer narzisstischer geprägten von Werteverfall und rücksichtslosem Profitstreben geprägten Gesellschaft solche Narzissten zunehmend unerkannter und ungestörter agieren können, da ihr egoistisches Verhalten ja immer weniger auffällt.
Soziopathie
Während der Begriff Narzisst aber in erster Linie die Persönlichkeitsstruktur beschreibt, geht es bei der Begrifflichkeit des Soziopathen vorwiegend um Aspekte des Verhaltens.
Narzissmus ist sicherlich die Grundlage, auf der Soziopathie entsteht, allerdings wird der Narzissmus in der Literatur immer noch ambivalent gesehen, ja, es wird sogar zwischen negativem und positivem Narzissmus unterschieden, was nahe legt, dass einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur durchaus auch Gutes abzugewinnen ist.
Bei Soziopathie hingegen handelt es sich ohne Zweifel um einen äußerst schädlichen Aspekt des Narzissmus, dessen Verhaltensmuster nicht allein von Selbstsucht und emotionaler Ignoranz bestimmt ist, sondern darüber hinaus auch von zahlreichen anderen problematischen Aspekten, sodass in der Psychologie häufig auch von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung gesprochen wird.
Soziopathen besitzen weder die Fähigkeit noch die Bereitschaft sich in andere Menschen hineinzuversetzen, beziehungsweise diesen gegenüber emotional überhaupt so etwas wie Mitgefühl zu empfinden. Sie lehnen jede Art von sozialen Normen und Verpflichtungen ab und verhalten sich häufig und wiederholt verantwortungslos. Allerdings sind Soziopathen durchaus dazu in der Lage, ihr dissoziales Verhalten zu steuern und lassen ihm in der Regel nur dann freien Lauf, wenn sie sich unbeobachtet fühlen oder mit keinen Konsequenzen für ihr Handeln rechnen müssen. Soziopathen sind Meister der Verstellung und - entgegen anderer Darstellungen - durchaus nicht in den unteren Bildungsschichten anzutreffen, möglicherweise sogar ganz im Gegenteil.
Darüberhinaus sind Soziopathen zumeist nicht dazu in der Lage längerfristige Beziehungen zu führen, weisen aber paradoxerweise häufig ein promiskuitives Verhalten auf - haben also oft mehrere „Beziehungen“ gleichzeitig. Frustration – egal in welchem Zusammenhang - können Soziopathen nicht ertragen, und reagieren daraufhin oft aggressiv oder sogar gewalttätig. Grundsätzlich fehlt ihnen jegliches Schuldbewusstsein und sie sind nicht dazu in der Lage aus ihren Taten zu lernen.
Psychopathie
Wenn von Psychopathie die Rede ist, dann spricht man im Prinzip von einer besonders schweren Form sziopathischen Verhaltens, beziehungsweise einer schweren dissozialen Persönlichkeitsstörung.
Während der Soziopath sein Verhalten in den meisten Fällen - zumindest in einem gewissen Maße - zu kontrollieren vermag – ist das für den Psychopathen zunehmend unmöglich. Realität und krankhafter Wahn verwischen beim Psychopathen zunehmend, und schaffen zum Teil sogar schizoide Verhaltensmuster.
Während soziopathisches Verhalten nur schwer zu diagnostizieren ist, ist das bei psychopathischem Verhalten anders.
Denn Psychopathen verhalten sich zumeist offensichtlich eigensüchtig und mitleidlos und versuchen dieses Verhalten oft nicht einmal mehr zu verstellen. Im Rahmen von Hirnuntersuchungen ließ sich diagnostizieren, dass die für die Empathie zuständigen Gehirnregionen bei Psychopathen nicht oder nur kaum ausgebildet sind.
Die gesamte Lebensweise eines Psychopathen zeugt von fehlendem Verantwortungsbewusstsein, weswegen er häufig mit dem Gesetz in Konflikt gerät.
Wie beim Soziopathen zeigt sich beim Psychopathen ein herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer - wobei er dieses nicht einmal mehr zu verstellen versucht – und ein fehlendes Schuldbewusstsein, was sich in seiner Unfähigkeit aus negativer Erfahrung zu lernen, erkennen lässt. Ebenso wie der Soziopath macht der Psychopath stets andere für sein persönliches Fehlverhalten verantwortlich oder konstruiert Erklärungen, die auf sein Gegenüber - so widersinnig sie auch sein mögen - zunächst scheinbar rational begründet wirken, was darauf zurückzuführen ist, dass der Psychopath im Bedarfsfall ein ungeheures Charisma entwickeln kann, mit dem er seine Umgebung blendet.
Die Aufrechterhaltung einer dauerhaften Beziehung fällt dem Soziopathen wie dem Psychopathen gleich schwer, sofern er nicht einen "Partner" findet, der masochistisch veranlagt ist und sich grundsätzlich unterwirft.
Die Frustrationstoleranz des Psychopathen ist noch niedriger als die des Soziopathen. Die Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten auch. Der Psychopath weigert sich auch grundsätzlich, dieses zu kontrollieren – etwas wozu der Soziopath im Bedarfsfall hingegen durchaus bereit und fähig ist.
Soziopathen und Psychopathen missachten die eigene Sicherheit ebenso wie die Sicherheit anderer, kennen keine Reue und sind pathologische Lügner – sowohl um des eigenen Vorteils als auch des Vergnügens willens.
Resümee
Etiketten wie „Narzisst“, „Soziopath“ oder „Psychopath“ geben uns sicher eine erste Hilfe, aber sie ersetzen nicht eine jeweilige individuelle Analyse. Denn wenn der „narzisstische Vater“ oder der „Soziopath im Berufsleben“ thematisiert wird, dann impliziert das bereits, dass es sich um austauschbare immer wieder kehrende Abziehbilder-Persönlichkeiten handelt. Doch das ist nicht der Fall, auch wenn sich deren Verhaltensweisen stark ähneln mögen.
Zudem ergibt sich aus einer solchen Etikettierung noch ein weiteres Problem. Denn wenn wir von „Narzissten“, „Soziopathen“ und „Psychopathen“ sprechen, so schafft uns das zunächst einmal einen bequemen Schutzraum. Eine solche Dämonisierung ermöglicht uns nämlich, dass wir uns innerlich distanzieren können, wodurch wir letztlich aber vermeiden, uns selbst zu reflektieren. Selbstreflexion aber ist unbedingt nötig, wenn man sich mit Menschen auseinander setzen muss, die einem das Leben schwer machen, denn nur so können wir verstehen, wie die Kommunikation mit ihnen funktiert.